Ethnologie / Figur-knieende Mutter (Ahnenfigur) mit Kind an der Brust; Mutter-Kind-Figuration „phemba“
Viele afrikanische Schnitzarbeiten in Form von Masken und Skulpturen weisen einen hohen Abstraktionsgrad auf. Die Vorstellungskraft der Schnitzer ist beeindruckend. Indem sie das Wesentliche der zentralen Formen stark betonten, erzielten sie eine ganz besondere Ausstrahlung. Im jeweiligen Herkunftsland war die Symbolik der geschnitzten Skulpturen jedem einzelnen Dorfbewohner bekannt. Vieles von diesem Wissen ist mittlerweile verlorengegangen, weil die mündlichen Erzählketten, die über Generationen Bestand hatten, abgerissen sind. Eine Phemba-Figur, eine Mutter mit Kind, erscheint uns aus der Ikonographie der christlichen Tradition vertraut. Maria mit dem Jesuskind im Arm ist ein weitverbreitetes und bekanntes Bild. Dennoch: Dieses Motiv ist mit einer Phemba nur insofern vergleichbar, als dass eine Mutter einen Sohn auf den Knien hält. Das ethnografische Wissen über die Bedeutung der ungewöhnlich realistisch geschnitzten Skulptur ist tatsächlich begrenzt. Sicher kann nur gesagt werden, dass Frauen in vielen afrikanischen Gesellschaften als das Geschlecht gelten, das die Weiterexistenz der Familie gewährleistet. Mit anderen Worten: Die Mutter stellt das Fundament der Familie dar und bemüht sich um die Erziehung der Kinder. Diese Wahrnehmung der Frauen als Trägerinnen der Familie wurde im 19. Jahrhundert besonders wichtig, als die Gesellschaften im Gebiet des Kongo-Beckens durch massive Einflüsse unterschiedlicher Kolonialmächte stark dezimiert und in ihrem inneren Zusammenhalt gestört wurden. Die Entstehung der ausdruckstarken Mutter-Kind-Konfigurationen könnte ein Ausdruck dieser für den Erhalt der Gemeinschaft nun umso wichtigeren Funktion gewesen sein. as
Herkunft: Afrika, Zentralafrika, Demokratische Republik Kongo, Zaire, Ganda Sundi
Datierung: vor 1915
Material: Holz geschnitzt und patiniert, Spiegelglas, Messingnägel, Bast
Masse: H 25,5 cm
Inventarnummer: VK C
1784
Provenienz:
- 23.10.1915: Adolf Risch (27.03.1881-27.03.1954), Schenkung
- Kulturmuseum St. Gallen