Geschichte / Marionetten

Marionetten

Eine riesenhafte, nackte Frau mit Strumpfbändern an den Beinen, mustert eine kleine männliche Figur, die sie in der Hand hält. Links von ihr sitzt eine dem Teufel ähnliche Gestalt, die ebenfalls eine kleine Menschenfigur in der Hand hält und mit seiner Gestik so etwas Ähnliches zu sagen scheint wie: "Du gehörst mir!". Bei den beiden mag es sich um Personifikationen der Versuchung, des Unheils, der Sünde und/oder der Verderbtheit handeln. Zu den Füssen der Frau liegt eine ganze Gruppe elender, nackter Figuren. Eine ist noch lebendig und krümmt sich vor Verzweiflung. Eine männliche Gestalt trägt Mantel und Zylinder und streift apathisch an der Mauer entlang. Der Titel der Darstellung heisst "Marionetten". Der Begriff spielt auf die kleinen unselbständigen Menschenfiguren an, die der Sünde und Willkür des Schicksals hilflos ausgeliefert sind. Sie sind Spielfiguren, zu blossen Objekten der Begierde verkommen, die in diesem Bild für sadistische Spielchen missbraut werden. Das Sinnbild wirft viele Fragen zur menschlichen Existenz auf: Wie viel Freiheit und Selbstbestimmung besitz der Mensch tatsächlich? Inwiefern sind wir den eigenen oder fremden Gelüsten und Trieben ausgeliefert (Ruhm, Macht, Gier, Geld, Sucht)? Der Mensch wird beherrscht von anderen, grösseren Mächten oder vom erbarmungslosem Schicksal des Lebens, das seine Opfer zufällig auszusuchen scheint. Man denke nur an jene Menschen, die in Kriegs- oder Katastrophengebieten leben, auf der Flucht sind, kein zu Hause haben oder an die Menschen in armen Ländern, die unter korrupten Machthabern grosses Leid zu ertragen haben. Elend und Leid findet überall statt. Viele leben am Rande der Gesellschaft, sind vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und müssen sich selbst helfen. Auch häusliche Gewalt, Missbrauch, Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung und sorgen täglich für neue Schlagzeilen.

Herkunft: Europa, Schweiz, St. Gallen
Datierung: 1917
Material: Radierung
Masse: H 24,9 x B 22,4 cm
Inventarnummer: G 2019.132

Provenienz:
- 25.06.2019: Peter Georg Gilsi (18.04.1933), Schenkung
- Kulturmuseum St. Gallen

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